Phänomen Muskelkater - Teil 2

3. Dezember 2018

Hast du schon einmal im Leben an Muskelkater gelitten? Die allerwenigsten von uns können diese Frage wohl mit «Nein» beantworten. Grund genug, das Phänomen Muskelkater sowie die gängigsten Aussagen zu beleuchten, mit denen Marc Streitenbürger, Leiter Athletik-Training bei Turicum Athletics sowie ASVZ-Trainingsleiter, als Trainer konfrontiert wird. Im nachfolgenden zweiten Teil der Auseinandersetzung nimmt er Stellung zu:

  • Nur Untrainierte bekommen Muskelkater.
  • Man sollte nach dem Training dehnen, damit der Muskelkater danach weniger stark ausgeprägt ist.

 

3. Nur Untrainierte bekommen Muskelkater.

Auch trainierte Personen können Muskelkater bekommen. Nämlich dann, wenn zum Beispiel eine neue Übung ins Trainingsprogramm aufgenommen wird und diese eine stärkere exzentrische Komponente aufweist, als es die bekannten Trainingsübungen mit gewohnten Bewegungsmustern tun.  Man geht davon aus, dass die Ursache dafür in der neuromuskulären Ansteuerung zu finden ist. Bei neuen und ungewohnten Bewegungen scheint das neuromuskuläre System noch nicht effizient alle verfügbaren Muskelfasern einsetzen zu können, wodurch der ganze mechanische Stress auf wenige Muskelfasern verteilt wird. Dadurch werden die involvierten Muskelfasern und das dazugehörige Bindegewebe stärker belastet. Im Gegensatz dazu kann das neuromuskuläre System die wirkenden Kräfte bei einem gewohnten Bewegungsmuster über mehr Muskelfasern und mehr Bindegewebe verteilen. Dieses Phänomen wurde bereits im vorigen Abschnitt bei der exzentrischen Muskelarbeitsweise thematisiert; auch dort wird die Kraft auf weniger Muskelfasern verteilt, weshalb mehr mechanischer Stress auf ihnen lastet und Muskelkater wahrscheinlicher wird.

Das bedeutet, dass auch trainierte Personen von Muskelkater betroffen sein können. Es sind jedoch Unterschiede zu Untrainierten erkennbar. Bei einer Untersuchung von kraft-trainierten und kraft-untrainierten Personen konnte beobachtet werden, dass nach einer für beide Personengruppen unbekannten bzw. nicht regelmässig ausgeübten Trainingsübung, zwar ein in der Wahrnehmung ähnlich starker Muskelkater eintrat. Ein Unterschied lag aber darin, dass der Muskelkater bei Trainierten um 40 % weniger lang andauerte, als bei Untrainierten. Weiter konnte bei den Trainierten, ganz im Gegensatz zu den Untrainierten, kaum eine Erhöhung von physiologischen Indikatoren von Gewebsschädigung nachgewiesen werden. Obwohl nach dem Training also beide Gruppen einen ähnlich grossen Muskelkater empfanden, fiel die Gewebsschädigung bei den Trainierten deutlich geringer aus. Diese Erkenntnisse lassen darauf schliessen, dass, auch wenn im vorhergehenden Absatz viel von Gewebsschädigung als Ursache des Muskelkaters geschrieben wurde, die Symptome inklusive Schmerz nicht zwingend dem Verlauf der Muskel- und Gewebsschädigung folgen (müssen). Dies kann so interpretiert werden, dass es auch ohne starke Gewebsbeschädigung zur Zellschwellung und einer Entzündungsreaktion kommen kann und Muskelkater bzw. das Schmerzempfinden nicht entscheidend dafür ist, wie stark die Muskelschädigung tatsächlich ist. Der Grund dafür ist wissenschaftlich noch nicht komplett verstanden.

4. Man sollte nach dem Training dehnen, damit der Muskelkater danach weniger stark ausgeprägt ist.

Wie wir nun wissen, handelt es sich beim Muskelkater um eine Verletzung (Gewebsbeschädigung) der Muskelsehneneinheit inklusive deren Bindegewebs-anteile. Was passiert nun, wenn wir die verletzten Muskelfasern dehnen? Es wird von aussen passiv Kraft auf das Gewebe ausgeübt, was die ohnehin verletzten Strukturen in die Länge zieht. Man kann sich dabei denken, dass diese Vorgehensweise kaum förderlich ist für die Heilung oder die Schmerzreduktion, sondern vielmehr eher noch grösseren strukturellen Schaden anrichtet. Zum Vergleich: Wenn wir uns einen Knochen brechen oder die Bänder reissen, ziehen wir diese Strukturen danach auch nicht noch in die Länge und hoffen dabei, dass diese dadurch rascher heilen.

Nun aber zur Frage, was man denn anstatt Dehnen gegen Muskelkater tun kann. Bisher konnte noch keine Methode gefunden werden, die nachweislich den Muskelkaterverhindern kann, sobald die Belastung vorbei ist. Der Schmerz wird in jedem Falle eintreten, egal, was dagegen unternommen wird. Der Heilungsprozess kann jedoch unterstützt werden, in dem leichte aerobe Aktivitäten ausgeführt werden, welche die Durchblutung in den betroffenen Strukturen erhöhen und damit den Heilungsprozess anregen. Dadurch gelangen mehr weisse Blutkörperchen zum Zielgewebe, wodurch die Abfallprodukte schneller abtransportiert werden können. Anfänglich könnte das typische Schmerzempfinden bei Muskelkater zwar noch etwas verstärkt werden, da mehr Blutfluss auch einen höheren Wasserfluss und eine höhere Zellschwellung verursacht und dadurch noch mehr Druck auf die sensiblen Nervenenden ausgeübt wird. Die Dauer des Muskelkaters kann aber höchstwahrscheinlich etwas verkürzt werden.

Das beste Mittel gegen Muskelkater ist, den Muskelkater erst gar nicht zu bekommen, ihm also vorzubeugen. Wir wissen nun, dass vor allem Bewegungen, die neu und ungewohnt sind sowie eine starke exzentrische Komponente mit langen Spannungsdauern aufweisen, zum Muskelkater führen können. Möchte man nun also neue Trainingsübungen mit einer gewissen exzentrischen Komponente ausüben, sollten diese daher über 2-3 Wochen behutsam aufgebaut werden. Dies, indem man das Volumen und die Intensität mit jedem Training ein bisschen steigert, damit sich das Nervensystem und auch die Gewebsstrukturen langsam an die Belastung gewöhnen können. Trotzdem lässt sich ein Muskelkater leider nicht immer verhindern. In einem Gruppentraining beispielsweise ist diese individuelle Steigerung selten möglich. Ich als Trainingsleitender weise bei potenziellen Muskelkaterübungen in Gruppentrainings immer darauf hin, dass jene Sportlerinnen und Sportler, für welche die nachfolgende Trainingsübung neu ist, langsam beginnen sowie eine einfache Ausführung mit geringerer Spannungsdauer bzw. weniger Wiederholungen wählen sollten.

Den ein oder anderen Muskelkater zu haben, ist sicher kein Weltuntergang. Er sollte aber, wenn immer möglich, vermieden und natürlich schon gar nicht angestrebt werden.

Teil 1 zum Phänomen Muskelkater widmete sich den Auffassungen "Muskelkater ist etwas Gutes. Da weiss ich, dass ich etwas gemacht habe" sowie "Wenn ich den Muskelkater überstanden habe, bin ich danach fitter und stärker." und kann hier nachgelesen werden.

Marc Streitenbürger, Leiter Athletik Training bei Turicum Athletics sowie ASVZ-Trainingsleitender Funktionelles Outdoor Training

 

Interessiert am ASVZ-Blog?

Wir schreiben auch in den weiteren Rubriken "Das ist..." und "Pro & Kontra". Der ASVZ-Blog ist erreichbar unter asvz.ch/blog