Muskelkater - etwas Gutes?

4. September 2025

Von: Marc Streitenbürger, Leiter Athletik und Personal Training bei Functional Athletics | Ko-Produktion: Silvana Ulber, Leitung Kommunikation ASVZ

Take-Home-Messages aus dem untenstehenden Text

  • Muskelkater ist kein Zeichen für gutes Training, sondern eine leichte Verletzung – er entsteht durch Mikroverletzungen in Muskel- und Bindegewebe.
  • Die Schmerzen entstehen durch Entzündungsreaktionen, nicht durch die Schädigung selbst.
  • Muskelkater bringt keine Leistungssteigerung oder mehr Muskelwachstum – im Gegenteil: die Leistungsfähigkeit ist vorübergehend eingeschränkt.
  • Auch Trainierte können Muskelkater bekommen, besonders bei ungewohnten Bewegungen; er klingt bei ihnen jedoch schneller ab und geht oft mit weniger Gewebsschädigung einher.
  • Dehnen hilft nicht gegen Muskelkater und kann ihn sogar verschlimmern – besser sind langsame Belastungssteigerungen, leichte Ausdaueraktivität und vorbeugendes, angepasstes Training.

 

Dieses ziehende Brennen nach einem harten Training – vertraut? Kaum jemand bleibt in seinem Leben von Muskelkater verschont. Doch was steckt wirklich hinter diesem Phänomen, das viele als Beweis für ein gutes Workout feiern? Zeit, die gängigsten Mythen unter die Lupe zu nehmen.

1. Muskelkater ist etwas Gutes. Da weiss ich, dass ich etwas gemacht habe.
Um das zu beurteilen, lohnt sich ein Blick auf die physiologischen Grundlagen. Was genau passiert beim Muskelkater? Die Wissenschaft kennt die Ursachen noch nicht bis ins Detail, aber gewisse Zusammenhänge sind gut belegt. 

Sicher ist: Muskelkater geht mit strukturellen Schäden einher – sowohl im Muskel- als auch im Bindegewebe (inkl. Sehnen). Da das Bindegewebe viele Schmerzrezeptoren enthält, trägt es stark zum Schmerzempfinden bei. Der Schmerz entsteht nicht während der Belastung, sondern erst Stunden später. Grund dafür ist die Entzündungsreaktion, die Reparaturprozesse in Gang setzt. Sie erhöht die Durchblutung, führt zu Flüssigkeitseinlagerungen und Druck auf Nervenenden – das verursacht die Schmerzen. Nicht die beschädigten Strukturen selbst, sondern die Entzündung löst also den Muskelkater aus.

Muskelkater tritt vor allem nach ungewohnten, exzentrischen Bewegungen auf – also bei belastendem Nachgeben des Muskels (z. B. Absenken in den Stuhl). Dabei wird die Kraft auf weniger Muskelfasern verteilt, wodurch diese stärker beansprucht werden. Je ungewohnter, schneller oder länger die Bewegung, desto höher das Risiko für Muskelkater.

2. Wenn ich den Muskelkater überstanden habe, bin ich danach fitter und stärker.
Oft heisst es, Muskelkater sei gut fürs Muskelwachstum. Das stimmt nicht. Muskelkater bedeutet Gewebsschädigung – im Grunde eine leichte Sportverletzung, eine Vorstufe der Zerrung. Er bringt weder Vorteile für die Leistungsfähigkeit noch für die Hypertrophie. Im Gegenteil: In den Tagen danach ist die Leistungsfähigkeit eingeschränkt, Training kaum möglich. Muskelkater sollte daher nicht angestrebt werden.

3. Nur Untrainierte bekommen Muskelkater.
Auch Trainierte können Muskelkater bekommen – etwa durch neue Übungen mit starker exzentrischer Belastung. Ursache ist die neuromuskuläre Steuerung: Bei ungewohnten Bewegungen wird die Belastung auf weniger Muskelfasern verteilt, was sie stärker beansprucht.

Studien zeigen: Trainierte und Untrainierte empfinden Muskelkater nach neuen Übungen ähnlich stark. Bei Trainierten klingt er jedoch schneller ab (ca. 40 % kürzer) und die tatsächlichen Gewebsschäden sind geringer. Schmerz und Schädigung hängen also nicht zwingend zusammen. Muskelkater kann auch ohne ausgeprägte Zellschäden auftreten – warum genau, ist noch nicht vollständig geklärt.

4. Man sollte nach dem Training dehnen, damit der Muskelkater danach weniger stark ausgeprägt ist.
Nein. Dehnen belastet die bereits geschädigten Strukturen zusätzlich und kann den Schaden sogar vergrößern – ähnlich, als würde man bei einem Bänderriss daran ziehen.

Was hilft stattdessen? Keine Methode verhindert Muskelkater nach der Belastung vollständig. Leichte Ausdaueraktivitäten können die Durchblutung verbessern und den Heilungsprozess beschleunigen, auch wenn der Schmerz anfangs stärker empfunden wird. Am wirksamsten ist Vorbeugung: Neue Übungen mit hoher exzentrischer Belastung sollten über 2–3 Wochen langsam gesteigert werden, damit sich Muskeln und Bindegewebe anpassen. In Gruppentrainings ist das nicht immer möglich, daher sollten Neueinsteiger:innen mit geringerer Intensität und kürzeren Spannungszeiten beginnen.

Fazit: Muskelkater ist zwar kein Drama, sollte aber möglichst vermieden – und schon gar nicht absichtlich provoziert – werden.

 

Dieser Blog-Beitrag wurde in ausführlicherer Version bereits am 19. November 2018 publiziert.

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Silvana Ulber
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