Foam Rolling: Nachhaltige positive Effekte oder doch eher Zeitverschwendung?

15. September 2021

Von: Marc Streitenbürger, ASVZ-Trainingsleiter sowie Leiter Athletik Training bei Turicum Athletics; 
Koproduktion: Silvana Ulber, Leiterin Kommunikation ASVZ

Foam Rolling scheint ein unverzichtbares Element des Trainings geworden zu sein. Viele Sporttreibende versprechen sich davon maximale Beweglichkeit und die perfekte Ergänzung zum Workout. Doch was ist dran, am Hype um die Selbstmassage mittels Hartschaumrollen? Sind die wahrnehmbaren positiven Effekte nachhaltig oder gibt es eine sinnvollere Art diese Zeit zu nutzen?

Die meisten Trainierenden betreiben Foam Rolling, um negativ assoziierten Phänomenen wie reduziertem Bewegungsumfang, Muskelkater, Muskelverhärtungen oder Schmerzen entgegenzuwirken. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen: Phänomene, wie die eben aufgezählten, stellen Schutzmechanismen des zentralen Nervensystems (=Gehirn) dar, mit dem dieses unser Überleben sichern will (lese dazu den Blog-Beitrag «Warum Schmerzen und das Ausmass von Verletzungen nur selten korrelieren»)

Zur Symptombekämpfung wirken wir nun aber anhand des Drucks der Foam Roll mit mechanischen Kräften auf den Körper ein, was einen sensorischen Input auf unsere Mechanorezeptoren (=Sinneszellen) zur Folge hat. Die damit aktivierten Rezeptoren leiten eine Vielzahl an Informationen ans zentrale Nervensystem weiter. Dieses wiederum ordnet den Druck der Rolle ein und gibt darauf abgestimmte Befehle an den Körper zurück. Es befiehlt beispielsweise der Muskulatur, dass sie die Muskelspannung erniedrigen soll; wodurch eine sogenannte «lockere Muskulatur» entsteht. Die lockere Muskulatur hat zur Folge, dass die Muskelspannung des Zielmuskels reduziert wird, was wiederum ein entscheidender Faktor für die Beweglichkeit der Gelenke ist. Auch die glatten Muskelzellen im Fasziengewebe können so ihren Tonus (=Spannung) reduzieren, was ebenfalls einen Einfluss auf die Beweglichkeit hat. Somit könnte mit dem beschriebenen Mechanismus erklärt werden, weshalb verschiedene Studien eine Erhöhung des Bewegungsumfanges nach dem Foam Rolling nachweisen konnten (Kelly & Beardsley, 2016). Als konkrete Beispiele von Untersuchungen dienen:

  • Grieve et al. (2015) und Do et al. (2018) beobachteten eine signifikante Erhöhung der Beweglichkeit in der Lendenwirbelsäule und der hinteren Oberschenkelmuskulatur, nachdem die Plantarfaszie (eine Bindegwebsstruktur an der Fussohle) gerollt wurde.
  • Auch Bushell et al. (2015) konnten eine signifikante kurzfristige Erhöhung der Hüftstreckung beobachten, nachdem der vordere Anteil der Hüfte mit einer Rolle bearbeitet wurde.
  • Zum selben Schluss kommen Jay et al. (2014) beim Untersuchen der Beweglichkeit der hinteren Oberschenkelmuskulatur.

Werden Ursachen behandelt?
Ist die Veränderung aber nachhaltig? In den meisten Fällen nicht. Mit Foam Rolling wird lediglich Symptombekämpfung betrieben, nicht aber Ursachen behandelt. Foam Rolling ist nicht in der Lage, Verklebungen und Vernarbungen in faszialen Strukturen aufzubrechen. Einerseits sind die einwirkenden mechanischen Kräfte zu gering, um myofaszialen Adhäsionen (=muskulär-fasziale Verwachsungen) aufbrechen zu können. Die dafür benötigten Kräfte übersteigen die physiologischen Limitationen des Menschen. Andererseits sind sie auch nicht in der Lage, Druck- und Zugkräfte auf die unterschiedlichen Schichten der Faszien auszuüben (Schleip, 2003).

Die Kurzfristigkeit von Foam Rolling zeigten unter anderem die oben beschriebenen Erfahrungen betreffend Hüftstreckung und Oberschenkelmuskulatur auf. Die positiven Effekte waren nach 10 Minuten wieder verflogen. Aufgrund verschiedener dieser Erfahrungen ist eher davon auszugehen, dass die Reaktion nicht über eine Veränderung der lokalen Strukturen selbst wirkt, sondern über einen globalen Mechanismus über das vegetative Nervensystem. So kommen die positiven Effekte eigentlich aufgrund einer «Manipulation» des Nervensystems zu Stande. Nicht aber aufgrund eines sogenannten «myofaszialen Release», bei dem strukturelle Veränderungen bewirkt werden.

Die aktive Bewegung im Fokus
Ist Foam Rolling also eine Zeitverschwendung? Viele Gründe sprechen dafür, dass die dafür eingesetzte Zeit zumindest besser genutzt werden kann. Dazu eine persönliche Beobachtung, welche sich gut in die bis anhin beschriebenen Erkenntnisse einfügt: Trainierende starten mit dem Foam Rolling von verschiedenen Körperpartien und nehmen eine Veränderung wahr. Zwar kurzfristig, aber positiv. Während sie zunächst 1-2 min pro Körperpartie investieren, bemerken sie bald, dass sie jede Körperpartie zunehmend länger bearbeiten müssen, um denselben Effekt zu erreichen. Weil die Rezeptoren ihre Reizschwelle stetig erhöhen, verbringen sie schlussendlich 10, 20 oder noch mehr Minuten mit der Selbstmassage. Diese Energie kann in den meisten Fällen sinnvoller investiert werden, nämlich in Form von aktiver Bewegung. Denn nur die tatsächlichen motorischen Fertig- und Fähigkeiten können eine langfristige Veränderung der Beweglichkeit herbeiführen; nur aktive Bewegung stimuliert eine grosse Varietät an verschiedenen Rezeptoren und führt damit zu Anpassungen in der Struktur (Knochen, Bänder, Sehnen, Muskeln, Faszien usw.). Passive Stimuli können zwar für Wohlbefinden sorgen, verändern aber nichts; sie bekämpfen das Symptom, lösen aber das Problem nicht.

Dazu zur Veranschaulichung folgendes Beispiel: Wenn wir uns nur im Alltag bewegen und normal gehen, wirkt bei jedem Schritt das 1.07-1.20 fache unseres Körpergewichts auf uns ein. Bei einer 70kg schweren Person, welche an einem Tag 10'000 Schritte geht, sind das 770'000 kg pro Tag, die auf deren Körper einwirken. Nehmen wir an, dass die gleiche Person an diesem Tag zusätzlich noch 30 Minuten und ca. 5'000 Schritte joggt, bei dem bis das 3-fache des Körpergewichts auf den Körper wirkt, kommen noch einmal etwa 1 Million Kilogramm dazu. An diesem Tag haben dann 1’770'000 Kilogramm auf den Körper eingewirkt… Der Körper hält dies nur aus, weil er sich strukturell daran anpasst, wie wir uns bewegen. Über längere Zeit baut sich das fasziale Gewebe so um, dass es die täglich ausgeführten Bewegungsmuster optimal unterstützen kann. Es wird dort stärker, wo es mehr aushalten muss, und baut dort ab, wo es weniger gebraucht wird.

Eine Investition der zur Verfügung stehenden Zeit und Energie in das motorische Lernen von effektiven und effizienten Bewegungsmustern ist damit deutlich sinnvoller, als die Investition ins nur kurzfristig wirkende Foam Rolling. Denn haben wir einmal effiziente Bewegungsmuster entwickelt, verändert sich unser fasziales System so, dass es unsere Bewegungen im Alltag und im Sport besser unterstützen kann – und es gar nicht erst zu Muskelkater, Muskelverhärtungen und Schmerzen kommen muss. Im Gegensatz zum Foam Rolling ein langfristig wirkender positiver Effekt auf unseren Körper und unser Wohlbefinden.

Take Home Message

  • Alle unangenehmen Gefühle wie Muskelkater, Muskelverhärtungen und Schmerzen werden durch das zentrale Nervensystem ausgelöst, nicht durch die Struktur selbst.
  • Dabei handelt es sich um Schutzmechanismen des Körpers.
  • Die mechanische Belastung durch den Foam Roller bewirkt KEINEN Abbau oder ein Aufbrechen von Adhäsionen (=Verwachsungen) zwischen Bindegewebsschichten.
  • Foam Rolling wirkt vor allem über das zentrale Nervensystem und kann positive Effekte auf unser Wohlbefinden haben, dies jedoch vor allem kurzfristig.
  • Unsere Strukturen, ganz besonders die Faszien, verändern sich grundsätzlich nur aufgrund aktiver Bewegung.
  • Das Ausführen und Optimieren von aktiven Bewegungsmustern hat langfristig einen deutlich höheren Einfluss auf das fasziale Gewebe, als das Foam Rolling.
  • Es verändert unser fasziales System so, dass dieses unsere Bewegungen im Alltag und im Sport besser unterstützen kann.

 

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Direkt und indirekt verwendete Literatur

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